Die Kommunalpolitik und Europa

Der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Herford Andreas Rödel im Interview

, von  Julia Aniśko

Die Kommunalpolitik und Europa
Andreas Rödel ist stellvertretender Bürgermeister der Stadt Herford in Nordrhein-Westfalen. Andreas Rödel / SPD Herford / cc 2.0, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Normalerweise kommen bei treffpunkteuropa.de und anderen Medien die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der oberen, politischen Ebenen zu Wort: Schulz, Timmermans und Verhofstadt. Doch was ist eigentlich mit den Politikern vor Ort? Was denken Kommunalpolitiker über Europa und welche Chancen bietet die europäische Integration für unsere Orte und Städte? Andreas Rödel ist der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Herford. Heute ist er bei treffpunkteuropa.de im Interview.

Julia Aniśko: Herr Rödel, sprechen wir gleich zu Anfang allgemein über die Zusammenarbeit zwischen der polnischen Stadt Gorzów und Ihrer Stadt Herford. Wie es begann diese?

Andreas Rödel: Das liegt schon ziemlich lange zurück. Zum einen gab es die Bundesarbeitsgemeinschaft der ehemaligen Landsberger, die immer versucht haben Kontakt zu ihrer Heimatstadt zu pflegen. Des Weiteren war die Arbeit der Landsberger sehr auf Austausch und Versöhnung mit Polen ausgerichtet. Aber darüber wissen andere sehr viel mehr. Zum anderen hat es schon sehr früh Kontakte zwischen den Schwimmern gegeben. Vor 22 Jahren haben Gorzow und Herford dann die Partner-, bzw. Freundschaft besiegelt.

Kann man sagen, dass die Bürger, u.a. die ehemaligen Landsberger, eine große Rolle spielen?

Ja. Frau Hasse-Dresing hat das Anna-Siemsens-Berufskolleg geleitet und war ein ganz wesentlicher Motor, sodass es zur Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Städten gekommen ist. Es gibt viele Berichte und Filmbeiträge über ihre Arbeit. Die Friedensglocke ist ein Beispiel dafür.

Und Sie sind der Meinung, dass das Volk die Grundlage für der Einheit und Zusammenarbeit zwischen Städten und Staaten ist. Wie binden Sie dieses Konzept jetzt in Herfords Zusammenarbeit mit Gorzów ein?

Es sind die Menschen, die sich begegnen und austauschen müssen. Wir müssen näher rücken, einander zuhören und verstehen. Nur so kann Freundschaft wachsen. Und es war vor allem die Fähigkeit der Polen uns zu vergeben. Für mich ist gerade die Verbindung zu Gorzow besonders wichtig. Wir müssen sie unbedingt weiter fördern. Insbesondere den Austausch und die Begegnung junger Menschen.

Heutzutage sprechen viele Leute über eine europäische Einheit, eine Zusammenarbeit zwischen die Nationen in der EU, und auch die Bildung eines vereinten europäischen Staates. Was meinen Sie dazu?

Ich fühle mich in erster Linie als Europäer und kann nur begrüßen, wenn die Staaten und die Regionen Europas näher zusammenrücken. Europa ist so spannend, weil es so vielfältig ist, weil es die unterschiedlichsten Kulturen besitzt. Der Unterschied macht uns so reich. Den müssen wir pflegen und bewahren. Ich wünsche mir eine Union, die eine gemeinsame Sozialordnung hat. Noch sind die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede zu groß. Das müssen wir angleichen.

Wenn es um die Vereinigung Europas geht, denken die Menschen oft nur an Staaten als an die Städte und die lokale Wirkung der Politik. Aus der Sicht eines Lokalpolitikers, welche Vorteile hat diese europäische Einheit?

Das wichtigste ist, dass Deutschland, dass ja nicht unbedingt für seine Friedfertigkeit bekannt war, seit mehr als 70 Jahren mit seinen Nachbarn in Frieden lebt. Das ist etwas ganz Großartiges. Schon dafür hat es sich gelohnt.

Und Ihrer Meinung nach, welche andere Wirkungen sind in Zukunft möglich, wenn Europa stärker zusammenwächst?

Europa, Deutschland und auch Polen stehen vor großen Herausforderungen. Fast 60 Millionen Menschen weltweit sind auf der Flucht. Sie suchen eine bessere und sicherere Zukunft. Das Problem kann nicht ein Land allein lösen. Hier spielt Europa eine wesentliche Rolle. Wir müssen gemeinsam Voraussetzungen schaffen, dass die Menschen in ihrer Heimat eine Zukunft haben. Wir müssen aber auch in Europa selbst die wirtschaftlich Ungleichheit in den Ländern beseitigen. Wir brauchen eine europäische Sozialordnung, die den Menschen ein Höchstmaß an sozialer Absicherung ermöglicht. Nur so schafft man Vertrauen in die Europäische Union.

Herford und Gorzow sind nicht die einzigen Städte, die zusammenarbeiten. Was für eine Rolle hat diese Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Städten und Nationen in ganz Europa, wenn es um die europäische Einheit geht? Wie kann der normale Bürger diese Einheit mitgestalten?

Europa kann man nicht beschließen, man muss es wollen und man muss es leben. Die Menschen müssen spüren, dass es für sie ein Gewinn ist, Bürger in Europa zu sein. Dazu gehört, dass die Lebensbedingungen und die Sozialsysteme auf hohem Niveau sind. Die Menschen müssen sehen und spüren, dass es ihnen was bringt. Leider haben wir da noch eine Menge Arbeit vor uns. In vielen Teilen Europas ist das noch nicht angekommen und die Menschen fühlen sich abgehängt. Das schafft kein Vertrauen.

Und wie kann Europa Vertrauen schaffen? Die Bürger sollten daran teilnehmen, um zusammen die Einheit zu bilden.

Die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen. Ohne die Menschen geht es nicht. Dazu gehört, dass man sich kennenlernt, dass man einander respektiert. Darum sind Städtepartnerschaften und insbesondere die Begegnung junger Menschen so wichtig. Darum wollen wir auch den Austausch zwischen den Schulen, Vereinen und den den jungen Menschen. Daraus bilden sich oft tolle Projekte und Freundschaften.

Wir haben nun über Europa und pro-europäische Meinungen gesprochen. Wie steht es um die nationalistische Meinung, dass das eigene Land die „Nummer Eins“ sein soll, und dass man sich nur auf sein Land konzentrieren sollte? Ist eine solche Auffassung grundsätzlich gefährlich?

Das ist eine schwierige Frage. Nationalstolz kann etwas sehr Gefährliches sein. Nämlich dann, wenn ich mein Land überhöhe und auf andere Länder herabblicke. Leider haben wir diese Tendenz in vielen Ländern Europas - auch bei uns in Deutschland. Gerade wir Deutschen sollten immer daran denken, wohin Nationalismus führen kann.

Was können die Menschen tun, um nationalistische Tendenzen zu verhindern?

Uns kennenlernen, näher rücken und gegenseitig respektieren. Darum sind mir Begegnungen mit anderen Menschen so wichtig. Auf meinen Reisen in die Länder Europas habe ich die unterschiedlichen Menschen und Länder kennengelernt. Man muss offen sein, neugierig und auf die Menschen zugehen.

Die Menschen und Länder kennenlernen, ist wichtig. Genauso, die eigene Geschichte gut zu kennen?

Die Geschichte ist sehr wichtig. Nur wenn wir die Geschichte gut kennen, können wir Entwicklungen und bestimmte geschichtliche Ereignisse begreifen und verstehen.

In Ihrer Arbeit mit Herford und Gorzow hat Geschichte eine große Rolle gespielt, genauer gesagt, die deutsch-polnische Geschichte. Wie kann das Verständnis der Geschichte die Vereinigung Europas fördern?

Der deutsche Nationalstaat ist im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten sehr spät entstanden. Er begann sehr aggressiv, was letztendlich im 1. Weltkrieg endete. Zwischen Deutschland und Frankreich herrschte viele Jahre eine tiefe Feindschaft. Heute sind wir mit Frankreich freundschaftlich verbunden und es gibt auf vielen Ebenen Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Städten, Schulen, Vereinen, etc. Der Kreis Herford hat eine lange Freundschaft und Verbindung zu Voiron. Tausende von Menschen, Schüler, etc. haben sich im Laufe der Jahre kennengelernt und private Freundschaften geschlossen. Das Gleiche gilt für unsere Partnerstädte, Fredericia (Dänemark) und Hinckley (GB). Ich möchte die gleiche intensive Beziehung zu Gorzow entwickeln. Der Schlüssel sind die jungen Menschen.

Wieso gerade die jungen Bürger?

Die jungen Menschen sind offen, neugierig und bereit, sich Herausforderungen zu stellen. Der Austausch zwischen den Schulen ist ein richtiger Weg, den wir fortsetzen möchten, aber auch in anderen Bereichen gilt es, Neues zu entwickeln. Die jungen Menschen sind die Zukunft. Sie können Europa gestalten. Und ich möchte ein Europa, in dem keine Mutter mehr um ihren Sohn weint.

Ein schönes Schlußwort. Vielen Dank Herr Rödel für das Gespräch.

Danke.

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