Mit dem Digital Services Act will die EU ihre Strategie für die Regulierung von Online-Plattformen stärken

, von  Noémie Chemla, Übersetzt von Jana Stammberger

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Mit dem Digital Services Act will die EU ihre Strategie für die Regulierung von Online-Plattformen stärken

Mit der jüngsten kartellrechtlichen Untersuchung gegen Apple wegen potentiellen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung sagt Margrethe Vestager der gesamten „Big Tech“-Spitze den Kampf an: Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft. Das Problem: Vereinzelte Geldstrafen sind für die finanzstarken Internetgiganten nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Europäische Kommission legt im Dezember mit dem „Digital Services Act“ ihre neue Strategie für die Regulierung von Internetplattformen vor.

Fairer Wettbewerb und Sicherheit für Nutzer*innen: Warum die EU einen Rahmen für digitale Plattformen schaffen will

Es ist eine Geschichte langjähriger Bemühungen: die Regulierung marktdominierender digitaler Plattformen. Inhaltlich geht es der Europäischen Kommission besonders um drei Punkte: Erstens, wettbewerbswidrige Praktiken und Wettbewerbsverzerrung durch das Agieren großer Plattformen als sogenannte Gate-Keeper. Zweitens, die Verantwortung digitaler Plattformen gegenüber Inhalten und persönlichen Daten der Nutzer*innen, und drittens, nach neueren Vorkommnissen, Steuervermeidung. Diese sogenannten Gatekeeper-Plattformen nehmen eine fast hegemoniale Position bei den Online-Diensten ein, die es ihnen ermöglicht, ihre eigenen Regeln durchzusetzen und den Wettbewerb zu verzerren. Dabei werden sie immer wieder dafür kritisiert, ihre Nutzer*innen nicht ausreichend gegen hasserfüllte und illegale Inhalte, insbesondere in sozialen Netzwerken, zu schützen. Kritik richtet sich außerdem gegen deren Umgang mit personenbezogenen Daten. GAFAM legen ihren Firmensitz bewusst nach Europa, um von steuerlichen Vorteilen zu profitieren.

Bereits 1994 verpflichtete die Europäische Kommission Microsoft zur Änderung seiner Lizenzbestimmungen. Die E-Commerce-Richtlinie von 2000 ist der erste echte europäische Rechtstext zur Regulierung des digitalen Marktes. Sie legt Regeln über Transparenz und Informationen für Anbieter von Online-Diensten fest, ebenso Regeln zu kommerzieller Kommunikation, elektronischen Verträgen oder den Haftungsbeschränkungen von Zwischenanbietern. Nach 20 Jahren, in denen sich der digitale Markt rasant entwickelt hat, ist nun eine Überarbeitung nötig, wie sie im Bereich der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) 2016 bereits durchgeführt wurde.

2014 wurde Margrethe Vestager EU-Wettbewerbskommissarin, bevor sie 2019 unter Ursula von der Leyen geschäftsführende Kommissions-Vizepräsidentin wurde. Die ehemalige dänische Ministerin zeigt eine feste Haltung gegenüber GAFAM und hält sich mit Sanktionen und Ermittlungen nicht zurück: Zwischen 2017 und 2019 wurde Google nacheinander wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung mit seinem Android-Betriebssystem zu Geldstrafen von bis zu 4,34 Milliarden Euro verurteilt. 2016 forderte die Europäische Kommission Irland auf, von Apple eine Rückzahlung von 13 Milliarden Euro zu verlangen - der Fall ist nach wie vor offen, nachdem die Kommission Berufung gegen das negative Urteil des Europäischen Gerichtshofes eingelegt hatte. Schließlich musste Amazon 2017 in Luxemburg Steuervorteile in Höhe von 250 Milliarden Euro zurückerstatten. In jüngerer Zeit wurden zwei Ermittlungen gegen den Liefergiganten wegen wettbewerbswidriger Praktiken eingeleitet, insbesondere aufgrund der Verwendung personenbezogener Daten sowie seiner „Buy Box“, die bestimmte kommerzielle Angebote hervorhebt.

Leider scheinen die Geldbußen angesichts der Größe der betroffenen Unternehmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Was bedeutet eine Sanktion von einigen Milliarden Euro für multinationale Unternehmen mit einem Umsatz von zehn oder sogar Hunderten Milliarden Euro pro Jahr? Außerdem kann die Europäische Union nicht weiterhin nur nachträglich eingreifen: Um tatsächlich etwas bewirken zu können, ist die Kommission der Ansicht, dass sie eine bessere Strategie entwickeln und Vorab-Regeln setzen muss. In diesem Zusammenhang kündigte sie an, demnächst einen detaillierten Textentwurf ihrer Strategie zur Regulierung digitaler Plattformen darzulegen: den Digital Services Act.

Der Digital Services Act ist ein Instrument zur Vorab-Regulierung des digitalen Marktes

Auf der Website der Europäischen Kommission wird der Digital Services Act (DSA) als Rechtsrahmen vorgestellt, der „den Binnenmarkt für digitale Dienste stärken und Innovation und Wettbewerbsfähigkeit im europäischen digitalen Umfeld fördern“ soll. Das neue Gesetz wäre eine Reform der E-Commerce-Richtlinie von 2000 und stützt sich hauptsächlich auf zwei Punkte: 1. eine klare Regelung der Verantwortung digitaler Dienste in Bezug auf den Schutz der Nutzer*innen, und 2. ’Vorab’- Regelungen gegen sogenannte Gatekeeper-Plattformen.

Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, erklärt, dass das Internet aktuell eine „rechtsfreie Zone“ ist, was sich durch den Digital Services Act nun ändern soll: Nach dem neuen Gesetzt müssen alle illegalen Inhalte entfernt werden. Außerdem können Plattformen in dazu verpflichtet werden, anonyme Internetnutzer*innen zu identifizieren und lokalisieren - anderenfalls drohen Sanktionen. Diese Maßnahme zielt auf kriminelle Inhalte ab, die online häufig schwer nachzuverfolgen sind: Rassismus, Antisemitismus, Belästigung und Morddrohungen, aber auch Terrorismus, Drogenhandel oder Kinderpornografie.

Der zweite Hauptpunkt des Digital Services Act betrifft die Regulierung von Unternehmen, die einen sehr großen Teil des digitalen Marktes einnehmen - welche Unternehmen zu dieser Gruppe zählen, muss noch festgelegt werden. Die Inhalte lehnen sich an den (sich ebenfalls im Konzept-Stadium befindlichen) Digital Markets Act an, der den Internetgiganten Verpflichtungen und Verbote auferlegen soll, um den Binnenmarkt nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Manche befürchten eine Zerschlagung des Marktes, doch Margrethe Vestager versicherte, dass dies nicht geschehen werde. Was der DSA bisher nicht beinhaltet, sind die ebenso wichtigen Fragen der GAFAM-Besteuerung und Steueroptimierung. Die Vorlage dieser beiden Gesetzestexte, die ursprünglich für den 2. Dezember geplant war, wurde von der Europäische Kommission auf den 9. Dezember verschoben.



Margrethe Vestager Foto: EU Kommission/Lizenz


Das Imperium schlägt zurück

Wie erwartet geht die Sache nicht ganz reibungslos von Statten. Die GAFAM wollen sich nichts vorschreiben lassen und bereiten sich auf den Gegenschlag vor. So entschuldigte sich Sundar Pichai, CEO von Google, kürzlich bei Thierry Breton, nachdem ein vertrauliches Dokument veröffentlicht worden war, in dem die Strategie der Gruppe „gegen Thierry Breton“ beschrieben wurde. Einige der darin erwähnten Lobbying-Taktiken sind nicht ungewöhnlich - Umfragen, Medienforen, Veranstaltungen, ... - doch die vorgestellte Strategie fuhr auch mit schwereren Geschützen auf: Mobilisierung der US-Regierung, die Behauptung, der DSA untergrabe die transatlantischen Beziehungen, Darstellung des DSA als Bedrohung für die EU-Generaldirektion Wettbewerb, ein Zusammentrommeln der europäischen Verbraucher und Unternehmen... Sundar Pichai sagte, er habe dieses Dokument nie gesehen und sich bei einem Austausch mit Thierry Breton entschuldigt.

Auf weniger aggressive Weise hat Neal Mohan, Chief Product Officer bei Youtube, Europa bereits zur Vorsicht gemahnt. Während er behauptete, die Gesetzesreform zum „Schutz der Nutzer und Urheber von YouTube“ zu unterstützen, argumentierte er, dass YouTube schon immer Regeln für die Überwachung von Inhalten hatte - in der Tat hat die Plattform kürzlich ihre Richtlinien verschärft und in diesem Zuge beispielsweise den Kanal des Polemisten Alain Soral gesperrt. Neal Mohan möchte, dass die Verantwortung der Plattformen auf illegale Inhalte beschränkt und stattdessen indem jedem Land ein eigener Handlungsspielraum für den Umgang mit Hassreden eingeräumt werde, da diese aus rechtlicher Sicht eher eine Grauzone darstellen. Genau bei diesem Thema hatten jedoch einige auf eine stärkere verbindliche Regelung durch den DSA gehofft. YouTube spricht sich außerdem gegen eine potenzielle Mittelverpflichtung aus, die sich in Anforderungen an die Anzahl der Moderatoren*innen niederschlagen könnte, und gegen Maßnahmen wie die Verpflichtung, Hassinhalte innerhalb von 24 Stunden zu entfernen - eine Maßnahme, die auch im französischen Gesetz „Loi Avia“ heftige Kritik hervorgerufen hat und kürzlich vom französischen Verfassungsgericht wegen des Risikos von Zensur und missbräuchlichen Entfernung von Inhalten für verfassungswidrig erklärt wurde.

Mohan besteht darauf, dass der DSA für alle Plattformen gilt, unabhängig von deren Größe. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass von großen Plattformen gesperrte Inhalte stattdessen auf kleinen Plattformen auftauchen. Besorgt sind die Tech-Giganten, insbesondere die sozialen Netzwerke, auch über aktuelle Entwicklungen: Erst kürzlich erklärte der EuGH das Privacy-Shield-Abkommen, eine Vereinbarung über den Datentransfer zwischen der EU und den USA, für ungültig. Gleichzeitig gibt es neue Forderungen der irischen Datenschutzbehörde, die angeblich hinderlich für die Geschäfte der Plattformen in Europa sind.

In Kürze wird die EU wissen, wie die Europäische Kommission die großen Plattformen regulieren will. Gerade im Kontext der globalen Corona-Pandemie scheint dieses Thema von zentraler Bedeutung zu sein. Die Krise hat die Position der GAFAM verstärkt und damit umso deutlicher gemacht, wie notwendig es ist, Internetnutzer*innen zu schützen und den Wettbewerb zu stabilisieren. Nachdem die Tech-Giganten finanziell von der Pandemie profitiert haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch das Thema einer europäischen Digital-Steuer bald wieder auftauchen wird, auch wenn diese bis jetzt nicht im DSA beinhaltet ist. Dieses Gesetz und die Position der Kommission gegenüber den digitalen Giganten werden auch im Zusammenhang mit den amerikanischen Wahlen und einer möglichen Erneuerung (oder zumindest einem neuen Abkommen) der Beziehungen zwischen den USA und der EU von entscheidender Bedeutung sein.

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