FederalistFriday: Ideen zum Europäischen Föderalismus

Mit dem Fahrrad durch Europa: Transnationale Vernetzung lokaler Aktivist*innen vorantreiben

, von  Simon Paetzold

Mit dem Fahrrad durch Europa: Transnationale Vernetzung lokaler Aktivist*innen vorantreiben
Die Arbeit innerhalb der organisierten Zivilgesellschaft hat den immensen Vorteil, politische Forderungen von der lokalen auf die europäische Ebene zu heben. Dies zeigt sich auch an ganz alltäglichen Beispielen, wie Radentscheiden. Foto: Unsplash / Piero Nigro / Unsplash Lizenz

Der Ideenaustausch zwischen lokalen Aktivist*innen aus ganz Europa kann neue Denkanstöße zur Lösung lokaler Probleme bieten. Der europäische Föderalismus schafft die hierfür nötigen Voraussetzungen. Ein konkretes Beispiel: Radentscheide.

Ein Freund berichtete mir im letzten Jahr von einem Bürgerbegehren in unserer Heimatstadt: dem Radentscheid. Dessen Ziel ist die Neugestaltung der lokalen Verkehrsinfrastruktur unter Gleichberechtigung des Radverkehrs mit anderen Verkehrsteilnehmer*innen. Als begeisterter Fahrradfahrer wurde direkt mein Interesse geweckt. Der Radentscheid ist ein positives Beispiel lokaler Mitgestaltung von politischen Entscheidungen durch Bürger*innen. Lokale Aktivist*innen in anderen Teilen Europas könnten vom Radentscheid lernen, wie sie ihre lokalen Entscheidungsträger*innen dazu bewegen, Verkehrsinfrastrukturen neu zu denken. Gleichzeitig hätte der Radentscheid noch stärker von Erfahrungen lokaler Aktivist*innen in anderen Teilen Europas profitieren können, wie die dortige Umgestaltung der Verkehrsinfrastruktur erreicht wurde. Allerdings findet ein Austausch über lokales zivilgesellschaftliches Engagement oft nur innerhalb eines Nationalstaats statt. In einer Europäischen Föderation würde ein solcher Austausch hingegen automatisch über nationale Grenzen hinweg geschehen. Lokale Aktivist*innen könnten somit zur Erreichung ihrer Ziele auf den Erfahrungen erfolgreicher Projekte in ganz Europa aufbauen.

Wie Föderalismus in unseren Alltag wirkt

Bei dem Bürgerbegehren in meiner Heimatstadt ging es um elf konkrete Forderungen, wie der Radverkehr in unserer Stadt attraktiver gestaltet werden kann. Nach einer sehr erfolgreichen Unterschriftensammlung wurden die Forderungen des Radentscheids in einem Vertrag mit der Stadtverwaltung beschlossen. Diese müssen nun umgesetzt werden. Ähnliche Initiativen gibt es schon in vielen Städten Deutschlands. Darüber hinaus haben Aktivist*innen in den letzten Monaten in anderen Städten sowie Bundesländern weitere Initiativen zur Förderung nachhaltiger Mobilität und des Radverkehrs gestartet.

Hieran zeigt sich, dass der deutsche Föderalismus mehr als nur Gezänk um bürokratische Zuständigkeiten bedeutet. Er wird auch durch den Ideenaustausch innerhalb der Zivilgesellschaft über Stadt- und Landesgrenzen hinweg mit Leben gefüllt. So hat sich das Team des Radentscheids in meiner Heimatstadt mit Aktivist*innen des Berliner “Volksentscheid Fahrrad” getroffen, um von ihrer Erfahrung eines Bürgerbegehrens in Berlin zu lernen. Während diese Zusammenarbeit in Deutschland oft reibungslos passiert, bestehen im europäischen Austausch größere Hindernisse.

Europäischen Austausch zwischen (Fahrrad-)Aktivist*innen fördern

Zwar existieren auf europäischer Ebene aktive zivilgesellschaftliche Verbände, die gesamteuropäische Interessen gegenüber Parlament, Rat und Kommission vertreten. Auch wird die Zivilgesellschaft im Rahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses im Gesetzgebungsverfahren konsultiert. Im Bereich nachhaltige Mobilität und Radverkehr betreibt die European Cyclists Federation als eine von vielen Organisationen effektive Interessenvertretung. Ein konkretes Beispiel ihrer Arbeit: das Projekt EuroVelo. Durch ein breites Informationsangebot zu europäischen Fahrradwegen auf seiner Website will das Projekt ein Bewusstsein für die Möglichkeiten nachhaltiger transeuropäischer Mobilität schaffen.

Die Arbeit innerhalb der organisierten Zivilgesellschaft hat den immensen Vorteil, politische Forderungen von der lokalen auf die europäische Ebene zu heben. Diese können dort effektiver vertreten werden als zum Beispiel alleine vom Radentscheid in meiner Heimatstadt. Gleichzeitig können gesamteuropäische Projekte wie EuroVelo mit entsprechenden Ressourcen umgesetzt werden.

Jedoch ermöglicht der vertikale Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen von der lokalen, regionalen, nationalen auf die europäische Ebene nur eine begrenzte Kooperation der einzelnen Ebenen aus verschiedenen Ländern untereinander. Zwischen nationalen und auch regionalen zivilgesellschaftlichen Verbänden finden oftmals regelmäßige Gespräche statt. So gibt es europaweite Kontaktgruppen zwischen Expert*innen im Radfahrbereich. Auch werden Kontakte zwischen dem Vorstand des deutschen ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) mit anderen nationalen Fahrradverbänden gepflegt. Allerdings kann ein direkter Ideenaustausch zwischen deutschen und beispielsweise dänischen oder niederländischen Fahrradaktivist*innen auf der lokalen Ebene noch verstärkt werden.

Transnationalen Austausch lokaler Erfahrung fördern

Gerade da mein Freund mir erzählte, dass er die Motivation für sein lokales Engagement aus der Erfahrung von fahrradfreundlichen Städten in Dänemark und den Niederlanden zieht, liegen große Chancen im transnationalen Austausch lokaler Erfahrungen. Ein verstärkter direkter Austausch zwischen lokalen Aktivist*innen aus ganz Europa könnte noch mehr Menschen zur aktiven Mitgestaltung unserer Gesellschaft bewegen.

Um dieses Potenzial zu fördern, leistet der europäische Föderalismus einen wichtigen Beitrag. Der Föderalismus in Deutschland kann hier als Vorbild für die europäische Ebene dienen. Denn wie es schon im deutschen Föderalismus zu einem Lauffeuer positiven Aktivismus für progressive Ideen kommt, könnte ein verstärkter europäischer Austausch zu neuen Denkanstößen für zivilgesellschaftliches Engagement in vielen Teilen Europas führen. Natürlich ist es aufgrund von unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen momentan schwierig, ein lokales Kampagnenkonzept aus einem Teil Europas in ein anderes nationales Rechtssystem zu übertragen. Ein Bürgerbegehren wie es in Teilen Deutschlands auf lokaler Ebene existiert, besteht nicht zwingend in anderen nationalen Rechtssystemen. Aber darum geht es auch nicht. Stattdessen kann ein Ideenaustausch eingefahrene Denkmuster aufbrechen. Dies soll dabei helfen, eine neue Sichtweise zur Lösung eigener Problemstellungen zu entwickeln. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: europäische Bürger*innen könnten in diesem Prozess auch erfahren, dass sie gar nicht so unterschiedlich voneinander sind.

Antworten des europäischen Föderalismus auf bestehende Hindernisse

Ein großes Hindernis bei der Förderung des direkten Austauschs zwischen lokalen Aktivist*innen sind mangelnde Informationen zu zivilgesellschaftlicher Arbeit in anderen europäischen Ländern. Mit dem europäischen Föderalismus würde dieses Problem überwunden werden. In Schulen würde ein schon ohnehin stark europäisches Selbstbewusstsein und eine europäische Identität gepflegt werden. Interessierte junge Menschen würden ihre zivilgesellschaftlichen Kooperationspartner*innen automatisch auch in anderen Teilen Europas suchen. Jedoch findet in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen gegenwärtig noch viel zu wenig Bewusstseinsbildung statt, sodass zivilgesellschaftliche Vorbilder nur im nationalen Umfeld gefunden werden.

Sprachliche Hürden bestehen ebenfalls, aber auch hier können Bildungsangebote wichtige Sprachkenntnisse vermitteln. Diese können im aktiven Austausch mit zivilgesellschaftlichen Partner*innen aus anderen europäischen Ländern ausgebaut werden.

Darüber hinaus fehlen mediale Plattformen, die über aktuelle zivilgesellschaftliche Projekte in anderen europäischen Ländern informieren. Die heutige Europäische Union ist noch weit entfernt von einer gemeinsamen medialen Öffentlichkeit. Transnationale Programme erreichen noch keine hinreichend hohen Einschaltquoten und decken noch kein umfassendes Spektrum von politischen und gesellschaftlichen Themen aus den verschiedenen Perspektiven aller Mitgliedsstaaten ab. Hierbei kann die Schaffung eines europäischen Rundfunks helfen, mediale Aufmerksamkeit auf erfolgreiches zivilgesellschaftliches Engagement in anderen europäischen Ländern zu lenken. Sobald ein erster Kontakt zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in verschiedenen Teilen Europas ermöglicht wird, muss die Verstetigung dieses keimenden Ideenaustauschs durch gemeinsame Workshops gefördert werden.

Im Europäischen Föderalismus können diese und viele weitere Voraussetzungen geschaffen werden und der europäische Ideenaustausch würde auch für lokale Aktivist*innen zum Normalfall werden. Die Fahrradfahrt von Zuhause bis zum Supermarkt um die Ecke sowie von den Nordlichtern Norwegens bis an die griechische Ägäis kann somit von lokalen Perspektiven aus ganz Europa profitieren.

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