Interview mit Michał Mucha

Ukrainer*innen sind keine Fremden für uns

, von  übersetzt von Claudia Bothe

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Ukrainer*innen sind keine Fremden für uns
Michał Mucha aus Zagorzyce, Poland. Foto: Leon Schwalbe / Katharina Egle

Michał Mucha ist ein Kind vom Land. Der 17-Jährige lebt in dem Dorf Zagorzyce, ein paar Kilometer von Ropczyce entfernt. Wenn er nicht in der Schule ist, spielt er Fußball im Fußballverein in Sędziszów Małopolskider, der einzigen anderen Stadt in der Region. Nach dem Schulabschluss möchte er Wirtschaft oder Mathematik studieren.

Leon Schwalbe: Michał, wie lange lebst du schon in Zagorzyce?

Michal Mucha: Ich wohne hier seit ich zwei Jahre alt bin. Davor lebte meine Eltern mit mir und meiner Schwester in Rzezszów. Aber die meiste Zeit verbringe ich in Sędziszów. Dort sind die meisten meiner Freunde, der Fußballverein, ...

Lebst du gerne in dieser Region Polens?

Ich mag diese Region sehr, aber nach der Schule und an den Wochenenden gibt es hier nichts zu tun. Keine Partys, keine Freizeitangebote - dafür muss man immer in größere Städte gehen.

Hast du vor hier zu bleiben oder ist das keine Option für dich?

Nach dem Studium würde ich gerne hier leben, hier arbeiten, hier eine Familie gründen. Aber zuerst möchte ich möchte ich nach Krakau oder Wrocław gehen, um zu studieren.

Das sind sehr schöne polnische Städte - gefällt es dir, Pole zu sein, und was bedeutet das für dich?

Ich denke, wir sind ein sehr fleißiges Land. Und wir haben unsere eigene Mentalität. Man muss hier leben um sie zu verstehen. Aber wir sind auch ein sehr gespaltenes Land, wenn es um die Politik geht.

Und warum?

Wenn du mich fragen würdest, welche Partei ich am liebsten mag, würde ich wahrscheinlich antworten: Keine. Die polnischen Parteien sind nicht gut. Vor allem die PiS. Aber es gibt immer noch Leute, die ihre Politik mögen.

Was gefällt Ihnen nicht an ihnen?

Die PiS ist eine Partei von Senior*innen, also machen sie nur Politik für alte Menschen. Deshalb mögen die meisten jungen Leute die PiS nicht.

Könnte sich bei den Wahlen etwas ändern, wenn junge Menschen wählen dürfen?

Auf jeden Fall! Ich glaube, es ändert sich schon jetzt etwas. Linke Parteien werden immer beliebter aber auch rechtsliberale Parteien wie die Konfederacja. Sie könnten in einigen Jahren die größten polnischen Parteien sein - und hoffentlich nicht mehr die PiS.

Könnte der antieuropäische Kurs der PiS ein Grund für die Unbeliebtheit dieser Partei bei der jüngeren Generation sein?

Ja, vielleicht. Die meisten jungen Leute, mich eingeschlossen, halten die EU für eine sehr sinnvolle Organisation. Die EU kann manchmal lästig sein, wegen all der Vorschriften. Aber wenn ich mich zwischen „EU ja oder nein?“ entscheiden müsste, würde ich definitiv ja sagen.

Im Moment schauen viele europäische Staaten auf Polen, weil Polen Millionen von ukrainischen Geflüchteten aufgenommen hat. Was denkst du über den Krieg in der Ukraine?

In den ersten Tagen war ich sehr schockiert und besorgt. Aber dann hat sich das gelegt. Ich glaube nicht, dass der Krieg Polen direkt betreffen könnte.

Hat sich etwas verändert, seit der Krieg begonnen hat?

Ich sehe hier mehr ukrainische Menschen. Als ich das letzte Mal in Rzezszów war, habe ich um mich herum so viele Menschen Ukrainisch sprechen hören - auf den Straßen, in den Geschäften, im Einkaufszentrum, fast überall. Sogar im Gebäude meines Fußballvereins sind jetzt Flüchtlinge.

Findest du das gut?

Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Ich habe Angst, dass, wenn ich irgendwann einmal einen Job suche - vielleicht in sechs oder sieben Jahren - es so viele andere Leute geben könnte, die auch diesen Job haben wollen und ich ihn dann nicht bekommen würde. Aber die vielen jungen Leuten würden Polen auch jünger machen. Das wäre gut für die Zukunft unseres Landes. Und so neu sind die Ukrainer*innen hier gar nicht. Wir hatten schon immer einige Ukrainer*innen in der Schule, an der Universität und auf der Arbeit. Jetzt sind es einfach ein paar mehr.

Könnte das ein Grund für die große Solidarität sein, die das ukrainische Volk in Polen derzeit erfährt?

Ja, ich denke schon. Wir kennen die Ukrainer*innen bereits. Sie sind keine Fremden für uns.

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